HOMBERGER HINGUCKER MAGAZIN

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24. Januar 1879: Vor 140 Jahren wurde das Königlich-Preußische Lehrerseminar in Homberg eingeweiht

 

Von Thomas Schattner

Am 24. Januar 1879, also vor exakt 140 Jahren, wurde der Altbau der heutigen Bundespräsident-Theodor-Heuss-Schule in Homberg seiner Bestimmung übergeben. Homberg hatte ein neues Bildungszentrum bekommen und spätestens mit dem Neubau des Seminargebäudes strahlte dies weit in die ganze Umgebung aus. Aber auch in der Kreisstadt hinterließ das Seminar seine Spuren bis in die Gegenwart, davon zeugt z.B. heute noch die Straßenbezeichnung der „Drehscheibe“, die auf Ausgangsgewohnheiten der Seminaristen zurückgeht.

 

 

Und Homberg bekam 1879 mit dem Gebäude eines der ganz besonderen Art. Einst überragte das Seminar-Gebäude nach der Stadtkirche mit seiner Silhouette die Stadt und das Bildungszentrum galt als ein Wahrzeichen, das weithin sichtbar auf das Gebäude der Bildung in der alten Kreisstadt hinwies. Allein äußerlich gibt das Gebäude schon einiges her. Die Länge von rund 85 Metern und die knapp 50 Meter Tiefe des streng genommen fünfstöckigen Gebäudes zeugen von einer gebauten Machtdemonstration der Preußen, die seit 1866 Kurhessen regierten.

Durchschnittlich einhundert Seminaristen bzw. Präparanden verließen nach jeweils drei Jahren Ausbildung in Homberg das Seminar. Viele von ihnen lebten in Privatpensionen in der Stadt. Rasch verzahnte sich so die „Welt des Seminars“ mit der der Stadt und ihrer Bevölkerung. Unmittelbare Kontakte waren die Folge. Fortan war das Seminar Teil der Stadt und dadurch wurde die Kreisstadt im Bildungssektor in ein öffentliches Licht gerückt, was bis heute nachwirkt. Geistig, kulturell und z.T. auch wirtschaftlich prägt das Gebäude und die Menschen, die in ihm ein und ausgingen, die Stadt.

Am 1. Juli 1873 begann der Neubau des Königlich-Preußischen Lehrerseminars in Homberg. Nach fünf Jahren Bauzeit waren 700.000,- Mark, eine für die damalige Zeit enorme Summe Geld, verbaut (heute wären das ungefähr 1,4 Millionen Euro). Zuvor wurden von 1869 bis 1873 in der Stadt in Frage kommenden Grundstücke vermessen und gemessen. Ein Vermessungsprotokoll im Marburger Staatsarchiv zeugt davon. U.a. war als Lage für das Gebäude der Stellbergsweg im Gespräch wie eine Lagezeichnung im Schulmuseum der BTHS zeigt. Welche Kriterien schließlich dazu führten, dass das Seminar in der Bahnhofstraße (heute Ziegenhainer Straße) dennoch gebaut wurde, darüber kann nur spekuliert werden. Schließlich galt der heutige Standort in der Planungsphase bereits als verworfen.

Hinzu kam, dass im gleichen Jahr der Homberger Bahnhof seinen Betrieb aufnahm. Beide Neubauten zusammen führten dazu, dass Homberg eine neue „Prachtmeile“ bekam, die städtebaulich Maßstäbe setze.

 

 

Der Architekt des Seminars könnte der Berliner Georg Knoblauch, der den Titel „Königlicher Baumeister“ trug, gewesen sein. Da viele seiner gebauten oder geplanten Lehrerseminare große Ähnlichkeiten mit dem Homberger Gebäudekomplex aufweisen. Nach Genehmigung des Projektes durch das Preußische Kultusministerium wurde dasselbe durch die Baumeister Reum und Spillner sowie den Königlichen Kreisbaumeister Jahn realisiert. Im Herbst des Jahres 1878 wurde dann der „Prachtbau“, so die „Hessische Schulzeitung“ von 1879 (Nr.: 6, S. 39) vollendet. Weiter war dort von einem „Muster der Baukunst, einer Zierde der Stadt Homberg“, ja sogar von einem „der schönsten Gebäude des preußischen Staates“ die Rede. Für andere Zeitgenossen galt das Gebäude als der modernste Bau seiner Art in Preußen.

Kurzum: So ein Gebäude hatte Homberg noch nicht gesehen. Nicht nur die Größe unterschied das Gebäude von den umliegenden Gebäuden, sondern auch der Baustil.

Erbaut wurde das Seminar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Stil des Historismus. Vor dem Hintergrund der grundlegenden Veränderungen und Umwälzungen der Industrialisierung entstand bei den Architekten eine Unsicherheit, wie man nun zeitgenössisch bauen könnte. So existierten mehrere Stile nebeneinander und keiner dominierte. Es wurde parallel gebaut. Im Historismus herrschte Stileklektizismus, d.h., man griff in der Kunst und in der Architektur auf verschiedene historische Stile zurück, die man so zu neuem Leben erweckte. So finden bzw. fanden sich am Homberger Seminargebäude Stilelemente der Neoromanik und der Neogotik sowie ehemals der Neorenaissance.

Beispiele für die Neogotik finden sich heute noch in der Türform des alten Hauptportals und in den spitz zulaufenden Fenstern der Aula.

Aber auch Elemente der Neoromanik befinden sich im Gebäude. Die massiven Säulen des Foyers und des zentralen Treppenhauses zitieren diesen Stil ebenso, wenn auch die Kapitelle zu ihrem Abschluss wesentlich minimalistischer sind. Interessant dabei ist des Weiteren, dass sowohl die Säulen als auch die Kapitelle sich ornamental im Treppenaufgang wiederfinden.

Bis Mitte bzw. Ende der 1960er Jahre gab es am Gebäude auch ein Element der Neorenaissance. So zierte ein Giebel der Neorenaissance das alte Hauptportal. Diese Giebel zeichneten sich durch ihre Abstufung nach oben hin aus. Leider wurde dieser abgeschlagen, um dem Gebäude ein vermeintlich „moderneres“ Aussehen zu geben.

Auch das Baumaterial war außergewöhnlich. Den ersten Eindruck, den das Gebäude von der Fassade her ausstrahlt, erinnert stark an die norddeutsche Backsteingotik. Übertrieben könnten sich die Homberger am Ende 19. Jahrhunderts an die norddeutsche Küste versetzt gefühlt haben.

Nichtsdestotrotz ist die Gesamtarchitektur unglaublich funktional (diesen architektonischen Aspekt hatte Gustav Knoblauch von seinem Vater Eduard Knoblauch übernommen, der ein Schüler von Karl Friedrich Schinkel, dem großem deutschen Baumeister des 19. Jahrhunderts, war). Die funktionale Qualität galt bzw. gilt vor allem für den abgerissenen Wirtschaftsflügel und den Mittelbau. Funktionalität war natürlich schon in der Bauaufgabe selbst vorgegeben.

Deshalb ist es auch sehr verwunderlich, dass sich auch auf einem Grundriss, in dem es um die Krankenzimmer geht, der Name Raschdorff findet. Hiermit kann nur Julius Carl Raschdorff gemeint sein, ebenfalls ein Berliner Architekt. Sein Projekt gilt nach dem Grundriss als veraltet. Was auch immer das bedeutet, eines scheint klar zu sein, dass auch der Architekt des berühmten Berliner Doms mit am Projekt des Homberger Lehrerseminars beteiligt war. Die Zu- und Einordnung des Architekten ist und bleibt aber schwierig, weil ein weiterer wichtiger Punkt hinzukommt. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Vorschriften zum Bau der Lehrerseminare in Preußen vereinheitlicht, dennoch gibt es doch größere Unterschiede unter den Lehrerseminaren. Hinzu kommt, dass das Homberger Seminargebäude als Gesamtkunstwerk von Knoblauch konzipiert wurde. Alles, sowohl die Architektur als auch die komplette Inneneinrichtung (sämtliche Stühle, Sitzbänke, Tische, Schränke bis hin zu Notenständern etc.), die Einfriedungen und Grundstücksmauern usw. wurden eigens für die Homberger Gebäude geplant und angefertigt. Und das galt auch für die zusätzlichen Gebäude. Schließlich gehörten die Turnhalle (die im Jahr 1907 und in den 1950er Jahren geringfügig erweitert wurde) und das Ökonomiegebäude selbstverständlich ebenso zur Bauaufgabe des Seminargebäudes wie das Abtrittsgebäude (Latrinengebäude) Denn ein Lehrerseminar war ein autonomes System vom Lehren, Lernen und Leben. Deshalb gehörten z.B. auch der Speisesaal, die Küche, die Waschküche und vieles mehr zur Bauaufgabe eines Lehrerseminars.

 

 

 

Des Weiteren zeugt die Grundstücksnutzung von einer großen Funktionalität. Dort, wo sich heute der Neubau befindet, befanden sich die Wirtschaftsräume. Richtung Lehrerparkplatz kam ein Ökonomiegebäude hinzu. Der heutige Lehrerparkplatz diente als Seminar-Garten. Der Direktorgarten befand sich um den heutigen Pavillon herum. Die Ställe für das Kleinvieh befanden sich dort. Unweit davon wurde der Müll gesammelt. Der Kräutergarten dagegen lag zur Ziegenhainer Straße vor dem heutigen Kunstbereich. Und die Latrinen befanden sich auf der heutigen Grünfläche zwischen dem Neubau und dem Bindeweg.

Im Gebäude selbst wurde aber nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt. Insgesamt 96 Präparanden konnten im Gebäude internatsmäßig wohnen, in den Außenflügeln (heute Mediothek, Sekretariat und Lehrerzimmer im Südflügel, der Fachbereich Kunst im Nordflügel) waren Wohnungen für die Lehrer und die Leitung des Seminars vorgesehen. Diese haben bis heute in Form der kleinen bis sehr kleinen Räume und deutlich sichtbaren Wanddurchbrüchen dort ihre Spuren hinterlassen.

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