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Die Digitalarbeiter kommen

Ausschnitt aus der Homepage der Stadt Homberg

Zwanzig Digitalarbeiter kommen am 1. Mai 2021 für sechs Monate nach Homberg.
  

Was bedeutet "Digitalarbeiter"?

Digitalarbeiter brauchen ihren Laptop oder eine Kamera und einen Internetzugang, dann können sie als Selbständige orts- und zeitungebunden Aufgaben übernehmen. Unternehmen zerlegen ihre Arbeitsprozesse immer weiter und lagern Aufgaben aus. Sie nutzen das große weltweite Angebot der neuen Selbständigen. Das senkt die Kosten, denn im internationalen Wettbewerb gibt es immer Anbieter, die es billiger machen.
Die Digitalarbeiter, die sich einen Ruf in einem Spezialgebiet erworben haben, können gut damit leben. Die anderen, die im harten Wettbewerb mit vielen anderen Anbietern stehen, müssen sich täglich auch um neue Aufträge kümmern. Dafür gibt es zahlreiche Portale im Internet, die Aufgaben anbieten.  "Veröffentlichen Sie einen Job, der erledigt werden muss, und erhalten Sie in wenigen Minuten wettbewerbsfähige Angebote" wirbt das Portal freelancer [1]zum Beispiel Unternehmen und verspricht ihnen: " Was auch immer Sie benötigen, es wird einen Freelancer geben, um es zu erledigen: vom Webdesign, über die Entwicklung mobiler Apps, virtuelle Assistenten, Produktherstellung und Grafikdesign (und vieles mehr)."

Das ist die Welt der Digitalarbeiter.
Viele andere Arbeiten können nur ortsgebunden erledigt werden. Auto reparieren, Häuser bauen, Kranke pflegen. Auch wenn in viele Arbeitsbereiche digitale Programme und Prozesse eingebaut sind, die Handarbeit bleibt.

Digitale Tagelöhner
In der neuen digitalen Welt gibt es die sogenannten digitalen Tagelöhner, die sehen müssen wie sie in dem Unterbietungswettbewerb noch ihren Lebensunterhalt verdienen können, möglichst ständig verfügbar sein, der Wettbewerb ist hart.

  
Digitale Nomaden

Wenn sie Aufträge haben, können sie überall arbeiten, am Strand der Karibik, in der Stille der Bergwelt oder im Café am Boulevard. Es sind die Berufe, die auch schon früher, vor den digitalen Technologien, so arbeiten konnten. Sie schrieben, rechneten, fotografierten und verkauften ihre Werke . Heute kommen Produkte wie Webseiten-Design und Software-Entwicklung dazu. Einen kleinen Einblick bietet der Videobeitrag [2]über digitale Nomaden.

 
Die Homberger Pioniere, die "Lust aufs Leben auf dem Land" haben

Zwischen digitalen Tagelöhnern und digitalen Nomaden gibt es ein weites Feld, aus dem einige für sechs Monate nach Homberg kommen. 
Alle müssen ihre Arbeit, ihre Aufträge mitbringen und daran arbeiten. Ihren Lebensunterhalt müssen sie weiterhin selbst verdienen.

Die für Homberg ausgewählten Digitalarbeiterinnen und Digitalarbeiter kommen vor allem aus dem Medienbereich, heißt es in der HNA.

Die temporären Neubürger zeichnen sich durch folgende Ausbildungen und Erfahrungen aus, wie sie sich auf der Seite Homberger Pioneers [3] vorstellen.

AG: Produktentwicklerin und Innovationsberaterin

TK: Kreativdirektor einer Berliner Designagentur für Gemeinwohlorganisationen, Promotion in Datenvisualisierung.

VT : Journalistin beim SPIEGEL,schreibt einen eigenen Blog

JS: Kameramann und Drohnenpilot und Colorist für Kino und Fernsehproduktionen. Fertigt handgemachte Möbel und Accessoires.

KH: Erfahrung in der Immobilienwirtschaft. unterstützt gemeinwohlorientierte Immobilienprojekte

JK: Kommunikationsdesigner in großen Werbeagenturen. Heute eigenes Designstudio, arbeitet als Design-Dozent.

RB: leitet Organisationsentwicklung einer Onlineplattform

TR: hat Agentur gegründet

SA: Senior Projektmanagerin Digital im Webentwicklungsteam einer Werbeagentur. In Homberg möchte sie eine Eigenentwicklung pilotieren.

P.P.S: über 20 Jahre Corporate-Designer

LS: PR-Beraterin für den Technologiesektor

MG: selbständiger Entwickler im Bereich Web- und App-Entwicklung.

JH: Übersetzt und schreibt Texte zu internationalen Themen für die Nachrichtenagentur AP.

MM: Datenjournalist, Experte für Analyse und Visualisierung von Daten

CT: UX Designerin und Trainerin für Design Thinking Kommt aus dem Kultursektor.

JJ: hat Innovation studiert, will das Smartphone zum elektronischen Personalausweis machen

IG: New Learning Designerin virtuelle Workshops wie Barcamps (Moderation von Großgruppen) viel Bildschirmarbeit, sie lotet die Chancen des Digitalen aus.
 

Was verspricht sich Homberg von dem Experiment?

Homberg hat viel in dieses experimentelle Projekt investiert. Die Mitarbeiter des Bauhofs und der Verwaltung hatten alle Hände voll zu tun, dass die gemeinsamen Büroräume (Coworking Space), die möblierten Wohnungen und die "riesige Gemeinschaftsküche" hergerichtet wurden.

Die Digitalisierung sei eine große Chance für den ländlichen Raum. „Wir können das ganz praktisch ausprobieren und davon profitieren.“
Bürgermeister Dr. Nico Ritz HNA 30.4.2021

Die Digitalisierung auf dem Homberger Land und in der Stadt Homberg (Efze) soll verbessert und vorangetrieben werden.

…neue Projekte und digitale Jobs in der Homberger Altstadt generieren und etablieren ..

… sollen sie mit ihren Projekten und Ideen die Stadt voranbringen. Einen Wissenstransfer soll es mit kreativen Köpfen aus der Region Homberg ebenso geben, wie die Teilnahme am Homberger Kulturprogramm.

Mobiles Arbeiten sei gerade im ländlichen Raum eine große Chance.

Zu dem Zukunftsanspruch der Stadt passt, dass von hier aus gerade Europas größtes Breitbandprojekt koordiniert wurde.

Quelle: Homepage der Stadt [4]

 

Was könnte "Digitalisierung" bedeuten?

Unter Digitalisierung versteht man erst einmal die Umwandlung von analogen Daten in digitale Daten, die Voraussetzung für die weitere Verarbeitung in den elektronischen Geraten und Medien ist. Aus Buchstaben eines Textes, aus den Farbpunkten eines Fotos werden Zahlfolgen mit den beiden Werten 0 und 1. Um nach der Verarbeitung und dem Versand dieser digitalen Daten wieder etwas lesen oder ansehen zu können, müssen die Daten wieder so umgewandelt werden, dass wir sie mit unseren Sinnen erfassen können.

Die Verarbeitung von digitalen Daten ist ein wirkmächtiges Hilfsmittel, das in fast alle Lebens- und Arbeitsbereiche eingezogen ist. Es hat auch neue Möglichkeiten geschaffen, etwa in der Bildverarbeitung und deren Manipulation. In der Medizin können aus zahlreichen Messdaten Bilder erzeugt werden. Im Bauwesen und in der Stadtplanung können Konzepte, Zeichnungen, Animationen und Berechnungen eingesetzt werden. Die Umsetzung erfolgt dann immer noch durch reale / analoge Materialien. Es sei denn man wäre mit einem digitalen Raum zufrieden.

Ausschnitt einer Ansicht aus einem digitalisiertem Haus der Bücher.

 

Was soll der Gedanke von digitalen Jobs für den ländlichen Raum? Gibt es noch Bereiche, die ohne digitale Hilfsmittel ausgeführt werden?

Stadtentwicklung ist keine technische Disziplin. Es gibt konkurrierende Vorstellungen zur Stadtentwicklung.

Stadtentwicklung ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, bei der um einen gerechten Interessenausgleich gerungen werden muss. Eine gelingende Stadtentwicklung braucht weniger Ideen von außen, als eine ehrliche Kommunikation innerhalb der Stadt.

Diese Auffassung vertrat auch Frau Prof. Dr.-Ing. Silke Weidner, Fachgebietsleitung Stadtmanagement an der BTU Cottbus Senftenberg in der Online-Konferenz "Städte neu denken" [5]. Sie stellte ihre Vorstellung zum Thema "LebendigeStadt – von Innenstädten, Ortskernen und neuem Leben in der Stadt" vor und positionierte sich als Gegenpol zu Frederik Fischer, der die Position von Summer of Pioneers vertrat.
Nach dem Konzept der  Pioneers solle dies Ideen und Konzepte von außen in eine Stadt oder Region bringen. Sie kennen nicht die Stadt, ihre Geschichte und Entwicklung. Sie müssten die Ideen der Stadt überstülpen.
Anders Prof. Silke Weidner. Sie plädierte dafür, die Stadt mit den Menschen vor Ort zu entwickeln. Diesen Ansatz vertrat bereits Prof. Eichenlaub von der Uni Kassel einmal in der Homberger Stadthalle – in Homberg vergebens.

In der Zusammenfassung heißt es:

Weidner riet dazu, nicht nur auf Handel als Entwicklungstreiber von Ortskernen zu setzen, sondern zu multifunktionalen und multikontextuellen Innenstädten. Beide betonten die große Bedeutung von Digital- und Verkehrsinfrastruktur für die Entwicklungschancen einer Region. Vor allem aber sind attraktive Mitten nur als Gemeinschaftsaufgabe vielfältiger Akteure denkbar, für eine lebendige Stadt der Begegnung. Quelle

  
Gefahr durch Digitalisierung

Der amerikanische Soziologe Richard Sennett machte bereits 2008 auf die Nachteile des Entwerfens mit Hilfe von CAD (computer assistes design) aufmerksam. Der Entwurfsprozess mit Handzeichnung und Papier führt zu einer intensiveren Auseinandersetzung  mit der Aufgabe. Es gibt die ersten Skizzen, die Überprüfung in der Landschaft oder in der Stadt. Neu skizzieren, neu prüfen. Es ist ein langwieriger Kreisprozess, in dem der Entwurf reift. Mit dem Computer geht alles schnell, es sieht sofort perfekt aus, doch dem Entwurf fehlt die lange Auseinandersetzung, das macht sich im Ergebnis bemerkbar. In Homberg kann man davon ein Lied singen, wie rasch hingeworfene Computer-Zeichnungen zu langfristigen Nacharbeiten und hohen Kosten führt und dabei nichts wirklich besser wird, weil der Fehler bereits im Entwurf entstand.

Auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über ein Projekt scheint erst einmal wie eine Verzögerung, die hinderlich ist. Das Hindernis erfordert neue Überlegungen, neue Auseinandersetzung mit den verschiedenen Interessengruppen. Solche Auseinandersetzungen lassen ein Projekt reifen und schaffen breitere Akzeptanz als Schnellschüsse.

Homberg kann aus der Auseinandersetzung mit den Gedanken der temporären Neubüger gewinnen, wenn die Homberger Bürger sich öffnen und diskutieren. Wer nur stolz darauf ist, sich gegen alle anderen trickreich durchgesetzt zu haben, schadet der Stadt. So entstehen keine reifen Projekte.
Es bleibt abzuwarten, wie wach und unvoreingenommen die ortsungebundenen Kreativen sich mit der Stadt und dem Land auseinandersetzen.
 

Coworking Space? Großraumbüro

Coworking Space, früher hieß es Großraumbüro. Beruflicher Aufstieg zeigte sich, wenn in ein eigenes Büro umgezogen werden konnte. In der Zeit, in der homeoffice zunehmend verpflichtend ist, hat der Coworking Space schlechte Karten. Jeder Pioneer arbeitet an seinen Aufträgen, wie soll da das nebeneinander sitzen einen Vorteil haben?

 

Stadtentwicklung von außen oder von innen?

Übrigens: schon vor 35 Jahren zogen Menschen aus den Großstädten hier aufs Land, allerdings um zu bleiben, Häuser zu sanieren, Arbeitsplätze zu schaffen, das Land wirtschafltich und kluturell zu bereichern. Diese Geschichte muss noch erzählt werden.