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Gedenken an die Pogrome im November 1938


Gedenkveranstaltung
Donnerstag,
8. November 2018,
17:00 Uhr
Stadtkirche St. Marien

 

Vor 80 Jahren:
„Ich war Deutsche, nur meine Religion war jüdisch“

Von Thomas Schattner

Wie bereits in den letzten sieben Jahren werden auch dieses Jahr Schülerinnen und Schüler die Gedenkveranstaltung am 8. November um 17.00 Uhr in der Stadtkirche St. Marien (nicht im Rathaussaal, wie ursprünglich geplant)  zu den Reichspogromnächten im November 1938 durchführen. Dabei kooperieren Schülerinnen und Schüler der Erich Kästner-Schule unter der Leitung von Gunnar Krosky erneut mit der AG „Schule ohne Rassismus“ der Bundespräsident-Theodor-Heuss-Schule von Thomas Schattner wie seit vier Jahren bei der Organisation und Durchführung dieser Gedenkveranstaltung.

Im ersten Teil der Veranstaltung wird es um den aktuellen Antisemitismus der letzten Jahre gehen, der mittlerweile ein enormes Ausmaß – auch in Hessen – erreicht hat. Diesen werden die Schüler anhand von kurzen Filmsequenzen und Bildern darstellen. Im zweiten Teil der Veranstaltung steht dann die jüdische Homberger Familie Moritz Goldschmidt aus der Untergasse Nummer 30 im Mittelpunkt der Veranstaltung. Moritz war ein angesehener Textilhändler in Homberg, Henriette, seine Ehefrau, galt als sehr vornehm, gleichzeitig erhaben und sehr menschlich.

Die Tochter Margret Goldschmidt (1916 bis 2014) erlebte als Jugendliche, wie sich Rassismus, Ausgrenzung, Diffamierung und Antisemitismus in der Kleinstadt Bahn brachen. Sie erlebte, wie aus kleinen Anfängen in der Provinz heraus der Weg in den Holocaust bereitet wurde.

Foto: Margarete Goldschmidt 2006 bei der Hochzeit des Enkels Daniel

 

„Trotz guter Zeugnisse musste sie die Schule verlassen. Auch eine Ausbildung als Fürsorgerin musste aufgegeben werden. Ihr älterer Bruder durfte nicht mehr studieren. In das Geschäft ihres Vaters kamen kaum noch Kunden. Margret erlebte, wie Tag um Tag der verbohrte Hass der Nationalsozialisten ihr Leben und ihre Jugend zerstörte. Das Beklemmende für uns heutige Zeitgenossen ist, dass diese Ausgrenzung und dieser alltägliche Rassismus von vielen Hombergern selbst getragen wurden. Sie kauften keine ´jüdischen´ Waren mehr. Sie blickten arrogant und mit Verachtung auf ihre jüdischen Mitbürger herab“, so der Historiker Ingo Sielaff.

Foto: Margret im Garten des Hauses der Familie Goldschmidt in der Untergasse Nummer 3

 

Die vermeintlich heile Welt der Kleinstadt geriet ins Wanken. Erst recht, als in den so genannten Reichspogromnächten im November 1938 Angst und Schrecken unter der jüdischen Bevölkerung verbreitet wurden. Margret erlebte die Reichspogromnächte zuerst in Kassel und dann in Homberg. Im Jahr 2003 sagte sie, sich noch immer fassungslos sich an die Reichspogromnächte erinnernd: „Ich war Deutsche, nur meine Religion war jüdisch“. Sie kehrte am Morgen des 9. November 1938 die Scherben vor dem elterlichen Geschäft zusammen, in dem nur noch ihre Mutter lebte, nachdem ihr Vater ein Jahr zuvor verstorben war. Er war der letzte Jude Hombergs, dessen Leiche noch auf einem Leichenwagen durch die Stadt zum jüdischen Friedhof gefahren werden durfte.

Margret selbst konnte nach den Novemberpogromen im Sommer 1939 rechtzeitig ins Ausland nach England fliehen. Vielen ihrer Verwandten gelang dies nicht. Sie wurden im Ghetto Minsk (Bruder Paul), in Sobibor (Mutter Henriette) und in Auschwitz (Bruder Siegfried, genannt Fritz) und anderswo im Zuge des Holocaust brutal und gewissenlos ermordet.

Margret konnte sehr viele Familiendokumente wie bspw. Fotografien nach England retten. Ihre Tochter, Helen Mars (Jahrgang 1948 und in London lebend), hat diese Thomas Schattner zur Verfügung gestellt. So können im Rahmen der Veranstaltung im Rathaus viele Fotografien, aber auch andere Dokumente präsentiert werden, die in Homberg vollkommen unbekannt sind und symbolisch das Leben der Goldschmidts zurück an ihren Heimatort bringen. Dazu wird auch die Stimme Margrets nach Homberg zurückkehren. Ein Interview, welches Margret im Jahr 2008 zu ihrer Geschichte und ihrer Familie gab, wird in Teilen eingespielt werden.

Die Botschaft ihrer sämtlichen Dokumente wirkt wie eine Warnung an uns heute Lebende. Dazu noch einmal Ingo Sielaff: „Schreitet ein, wenn Menschen bedroht und diskriminiert werden. Schreitet ein, wenn Rassismus und Antisemitismus um sich greifen und erst als schleichendes Gift und später als brutale Gewalt die Gesellschaft zerstören. Schreitet, anders als die Volksgenossen und Einwohner der 1930er Jahre, rechtzeitig ein. Lassen wir es niemals wieder so weit kommen“.

Die Dokumente der Familie Goldschmidt hat Thomas Schattner aus Anlass des traurigen Jubiläums vor 80 Jahren in Buchform aufbereitet. Das 380 Seiten starke und reich bebilderte Werk ist bei Amazon erschienen. Das Buch kostet 13,20 €.

 

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Kommentare sind deaktiviert Empfänger "Gedenken an die Pogrome im November 1938"

#1 Kommentar von Ex-Großstädter am 2018 November 7 00000011 9:59 pm 154162435009Mi, 07 Nov 2018 21:59:10 +0100

"Ich war Deutsche, nur meine Religion war jüdisch."

Das erinnert mich an den verstorbenen Zentralratsvorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Deutschland, Herrn Ignaz Bubis, der wiederholt betonte:

Ich bin keine Jude, ich bin Deutscher  jüdischen Glaubens!