HOMBERGER HINGUCKER MAGAZIN

2008 – 2021 Informationen zur Kommunalpolitik in der Kreisstadt Homberg (Efze) – ab 2021 HOMBERGER HINGUCKER MAGAZIN

Parallelen?

Dreytza BuchIn einem Kommentar wies ein Leser auf zwei Kapitel in dem Buch des Homberger Ehrenbürgers Friedrich Dreytza „Zwischen Demokratie und Diktatur“ hin und empfahl dort nachzulesen.

Um das möglich zu machen, sind die beiden Kapitel im folgenden als Dokumentation zitiert. So kann jeder Leser für sich die Frage nach den Parallelen beantworten.

Dokumentation

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Auszüge aus:
Friedrich Dreytza, Christiane Fäcke; Zwischen Demokratie und Diktatur,
Eine Spurensuche durch Homberg (Efze) und andere nordhessische Orte (1920 – 1950)
Herausgegeben vom Zweigverein Homberg (Efze)
im Verein für hessische Geschichte und Landeskunde Kassel e.V.; Homberg 2008

Ein Hauptmann wird Bürgermeister in Homberg (Seite 295)

Der von der amerikanischen Militärverwaltung am 2. April 1945 eingesetzte und per Wahl am 27. Januar 19464 bestätigte Bürgermeister Albert Schuler (SPD) wird durch die Wahl des Bürgermeis-ters der Stadt Homberg im Herbst 1948 durch den Gegenkandidaten der CDU und ehemaligen Hauptmann der Wehrmacht, Maximilian Reichert, abgelöst. Max Reichert, seinen Vornamen verkürzt er selbst, ist im Gegensatz zu Albert Schuler ein sehr konservativer Bürgermeister. So beschreibt er die Geschichte der zurückliegenden Zeit im Oktober 1961 folgendermaßen:

Bei der Besetzung ganz Deutsehlands nach dem Zusammenbruch 1945 wurde auch Homberg von amerikanischen Truppen besetzt, die ihr Amt als Strafexpedition aus-führten. Zu den vorhandenen 4.200 Einwohnern mussten 2.700 Flüchtlinge aus Ost-deutschland und ausgebombten Großstädten aufgenommen werden. […] Das Deut-sche Volk hat seine Entscheidungen über die Zukunft auf kluge Weise durch Wahlen gefallt, in denen es seit Kriegsende stets diejenigen politischen Kräfte zur Führung be-rief, die für die europäische Verschmelzung eintraten. In erster Linie bestimmten christliche und konservativ ausgerichtete Regierungen diesen Weg, während sozialis-tische und dem Osten gegenüber Neutralität anstrebende Gruppen nur eine oppositi-onelle Minderheit bildeten. Lediglich die Städte Berlin, Hamburg und Bremen sowie das Land Hessen haben zur Zeit noch sozialistische Regierungen, die aber nur nach innen wirken können. In der Stadt Homberg betragen die sozialistischen Stimmen et-wa 30 %. […] Da infolge der Besatzungspolitik und des auf die Dauer fehlerhaften Wahlrechts die Regierung gezwungen ist, der Mehrheit und damit den unteren Schich-ten weiter entgegenzukommen als den gebildeten und verantwortlichen Führungskräf-ten, […] wird es eine zukünftige Aufgabe sein, wieder eine gesellschaftliche Differenzie-rung herbeizufuhren und den Einfluss der Mehrheit einzudämmen, da eine Elitebildung in einem demokratischen Staat weitaus notwendiger ist, als in jedem anderen. […] Trotz großer Widerstände der sozialistischen Regierung Hessens, habe ich es mir zur Aufgabe ge-macht, in Homberg wieder Militär zu garnisonieren. Als ehemaliger aktiver Offizier ist es mir eine Freude, nun beide Lebensgebiete, die öffentliche Verwaltung und die Wehrhaftig-keit unseres Volkes in Homberg vereint zu sehen. Diese Tatsache war das wichtigste Er-eignis in meiner bisherigen 12-jährigen Amtszeit in Homberg und der Einzug der Panzer-grenadierdivision in Homberg war Lohn und Befriedigung für viele Jahre mühevoller Klein-arbeit. Weiß ich doch meine liebe Stadt Homberg nun erst vollständig für die Zukunft bereit! gez. Max Reichert, Bürgermeister. [1]

Die in der Nachkriegszeit bestehenden großen politischen Lager, d.h. die Konservativen mit der CDU auf der einen Seite und die Sozialdemokraten mit der SPD auf der anderen Seite, werden als Gegenpole auch in Homberg erkennbar, wie dieser Brief deutlich macht. Gerade für Städte im Zonenrandgebiet ist die Wiederbewaffhung und Stationierung der Bundeswehr von großer Bedeutung.

Bild

Remilitarisierung: Bürgermeister Maximilian Reichert begrüßt Soldaten der Bundeswehr
(Foto: Karl Eigenbrod)

 

[1] Urkunden und Schriften aus der Turmzier der St. Marienkirche zu Homberg vom Jahr 1961, aufbewahrt im Heimatmuseum Homberg

Ärger mit der Demokratie (Seite 296)

Die Prozedur um die Neubesetzung der Rektorenstelle aa der Stadtschule Homberg zeigt, dass der Umgang mit der Vergangenheit und der jetzigen Demokratie nicht einfach ist. Der von einer parlamentarischen Mehrheit im Stadtparlament vorgeschlagene Kandidat und Lehrer an der Stadt-schule, Walter Haas aus Homberg, wird wegen seiner aktiven Tätigkeit in der ehemaligen NSDAP vom Regierungspräsidenten in Kassel abgelehnt. Stattdessen wird Lehrer Wilhelm Bender, wäh-rend der NS-Herrschaft im Widerstand gegen Hitler, vorgeschlagen. Neben der CDU und der SPD besteht im Stadtparlament eine starke „Parteifreie Wählergemeinschaft“, an dessen Spitze der ehemalige Hornberger Lehrer Karl Boß als Stadtverordnetenvorsteher steht. In der „Parteifreien Wählergemeinschaft“ haben sich u.a. ehemalige Nationalsozialisten eine Plattform geschaffen. Die Vorwürfe zweier Kasseler Tageszeitungen [1] (Hessische Nachrichten und Kasseler Post), der Horn-berger Stadtverordnetenvorsteher Karl Boß versuche, eine objektive Berichterstattung zu verhindern und habe in einer Kritik an Berichten über die Verhandlungen im Zusammenhang mit der Besetzung der Rektorenstelle die Hornberger Pressevertreter „Landesverräter“ genannt, eskalieren zu einem „Hornberger Pressekrieg“.[2] Den Pressevertretern Ottfried von Weiss und Eberhard Dahmer gegenüber äußert sich Karl Boß: „In Hessen wird es erst besser, wenn die roten Hunde in Wiesbaden krepiert sind!“ [3] In einem Schreiben an Eberhard Dehmer erklärt Karl Boß, dass ihm die Demokratie gestohlen bleiben könne und der Schulrat des Kreises Fritzlar-Homberg, Georg Hopf, sei ein Produkt der Besatzungsmacht. Unterzeichnet wird dieser Brief mit der nationalsozialisti-schen Formulierung: „Mit deutschem Gruß!“. [4] Der Streit mit den Journalisten eskaliert, weil die beiden Vertreter der Kasseler Zeitungen sich vor der öffentlichen Stadtverordnetensitzung über den Kandidaten der Regierung bei dem Leiter der Schulabteilung der Bezirksregierung in Kassel, Regierungsdirektor Trost, informiert und diese Informationen veröffentlicht hatten. Daraufhin wer-den die beiden Journalisten vom Stadtverordnetenvorsteher als „Landesverräter“ – später abgemil-dert als „Stadtverräter“ bezeichnet, weil sie mit dem „Feinde“ paktiert hätten.[5] Gleichzeitig verbietet der Stadtverordnetenvorsteher den beiden Journalisten für die Zukunft, an öffentlichen Sitzungen des Stadtparlamentes teilzunehmen. Auch Bürgermeister Max Reichert untersagt allen Abteilungen der Stadtverwaltung, Informationen an die Vertreter der beiden Kasseler Tageszeitungen zu geben. Polizei-obermeister Walter Kapohl, Leiter der Hornberger Stadtpolizei, erklärt dem Journalisten Ottfried von Weiss: „Mir sind die Hände gebunden, ich habe einmal gegen Boß eine Anzeige wegen eines Verkehrsdeliktes gefertigt und musste diese auf Einspruch des Bürgermeisters wieder zurücknehmen. Wenn sie hier in Homberg jemand anzeigen wollen, müssen sie es direkt beim Oberstaatsanwalt tun.“ [6] Unter der Überschrift: „Auskunftserteilung in Homberg nicht beeinträchtigt“ berichtet der Landrat des Kreises Fritzlar-Homberg, dass er keine Veranlassung sehe, irgendwelche Schritte gegen Bürgermeister Max Reichert zu unternehmen. [7]

Diese kontroversen Auseinandersetzungen machen deutlich, wie in der Nachkriegszeit um politische Überzeugungen gerungen und gestritten wurde. Die Erfahrungen und Sichtweisen aus der Zeit des Nationalsozialismus bestehen auch nach der Entnazifizierung durch die Besatzungsmächte weiterhin in den Köpfen einiger Menschen. Auch die Demokratie muss erst wieder wachsen.

1 „Hessische Nachrichten“ vom 02.04.1954
2 „Hessische Nachrichten“ vom 06.04.1954
3 „Kasseler Post“ vom 06.04.1954
4 StA MR, 180 LA Fritzlar-Homberg, Nr. 3285, Schreiben der Hessischen Druck- und Verlagsanstalt GmbH, Kassel vom 02.04.1954
5 StA MR, 180 LA Fritzlar-Homberg, Nr. 3285, Schreiben der Hessischen Druck- und Verlagsanstalt GmbH, Kassel vom 02.04.1954
6 ebenda
7 ebenda


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